Vfbler hat geschrieben:Sehr interressant wie manche in die Zukunft schauen können. Ich glaube es gibt kein Projekt in Deutschland das jemals so kritisch hinterfragt wurde und bei dem man sich ausführlicher informieren konnte. Vielleicht sollte man sich aber zur Meinungsbildung nicht nur auf eine Seite verlassen sondern
beide Seiten betrachten. Ich finde es auch sehr spannend wie viele Leute sich über Stuttgart eine Meinung bilden können und wissen was hier abgeht wenn sie hunderte von Kilometer weg wohnen. Aber egal das Ding ist durch und im Gegensatz zu den Pessimisten sag ich das die Leute wenn der Bahnhof fertig ist ganz plötzlich Ihre Meinung ändern, dafür gibt es allein in Stuttgart genügend Beispiele.
Da gehört nicht viel dazu, hier in die Zukunft zu schauen. Es ist eine reine Addition von Fakten und Tatsachen, die lediglich von mir anders eingeschätzt werden. Beziehungsweise die der Öffentlichkeit von der Bahnseite anders verkauft werden und die sich somit ganz toll anhören.
Beispiele:
Kostenentwicklung:
Kein Großprojekt in Deutschland hat jemals den Kostenrahmen eingehalten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Auftrag an den günstigsten Bieter vergeben werden muss. Somit unterbieten sich die Unternehmen gegenseitig, wohl wissend, dass sie am Ende eh wieder massiv draufschlagen können (auch mehr als die sonst üblichen maximal 10% gegenüber dem Angebot). Aktuelles, vergleichbares Beispiel ist die Karlsruher Kombi-Lösung. Angesetzt mit 637 Millionen, aktuell bei 641 Millionen, weitere 8,6 Millionen stehen im Raum. Der Zeitplan ist bereits jetzt um über 1 Jahr hinter der Planung, unter anderem wegen Problemen im Untergrund. Dabei wurde noch nicht einmal allzu viel gemacht bisher und mit dem eigentlichen Tunnel wurde ebenfalls noch nicht begonnen.
In Stuttgart soll allein im Tunnelbau insgesamt rund 60km neu gebaut werden. Zwar wurde der Untergrund vorerkundet, aber man weiß nie, worauf man stößt. Zudem führt die Strecke auf weiten Teilen durch Quellgips. Die Gefahr, dass dieser aufquillt, besteht somit zu jeder Zeit, auch nach Abschluss der eigentlichen Baumaßnahmen. Somit sind kostenaufwändige Instandhaltungen abzusehen.
Meine Einschätzung ist einfach, dass sobald im Untergrund gebaut wird, ständig mit unvorhergesehenem zu rechnen ist. Von den ganzen Blindgängern im Stuttgarter Boden will ich dabei gar net mal reden.
Da selbst der Bundesrechnungshof schon 2008 bereits mit mindestens 5,3 Mrd. Gesamtkosten gerechnet hat, ist meine Einschätzung von 6+ Mrd. sicher nicht an den Haaren herbeigezogen.
Halte- und Umsteigezeiten:
Der SMA Bericht geht von einer Haltezeit der Züge von 1,5 Minuten aus. Meine persönliche Erfahrung insbesondere mit der Situation im Stuttgarter Bahnhof zeigt mir, dass diese Zeit in der Regel nicht einzuhalten ist. Viele der Züge sind dermaßen voll besetzt, dass es ein Gedränge beim Ein- und Ausstieg gibt. Personen mit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit oder viel Gepäck verzögern die Sache weiter. Eine Haltezeit von unter 3 min bei Fernverkehrszügen ist meines Erachtens unrealistisch. Aufgrund der sehr knappen Taktzeiten ist eine Verzögerung allerdings nicht drin, da der Bahnsteig zu räumen ist, um dem nächsten Zug Platz zu machen. Rechnet man hier dann auch noch die üblichen, reellen Verspätungen ein, die in der Simulation nur mit Durchschnittswerten lt. Bahnangaben eingeplant wurden, dann gibt es ein Fiasko.
Auch beim Umsteigen mit Bahnsteigwechsel wird es Probleme geben. Während man bisher problemlos ebenerdig von einem Bahnsteig zum nächsten rennen konnte, müssen zukünftig die Bahnsteige über Treppenaufgänge verlassen werden. Das dauert dann entsprechend länger, wenn man erst hochrennen und dann wieder runterlaufen muss. Auch hier werden die Umsteigszeiten wohl aber nach statistischen Werten errechnet, statt sich am reelen Bedarf, insbesondere älterer und/oder behinderter Mitbürger zu orientieren. Hat dann auch noch ein Zug Verspätung, kann man sich das Ergebnis ausrechnen.
Allein diese beiden Beispiele zeigen wohl eine recht realistische Zukunftsprognose, die von den Befürwortern so natürlich niemals bestätigt werden würde. Der gesunde Menschenverstand sagt mir aber, dass ich recht habe.
Und wenn das alles noch nichts hilft, um zu zeigen, dass das Projekt nix taugt, reicht ein Blick auf den volkswirtschaftlichen Faktor. Entgegen üblicher Vorgehensweise wurde allerdings keine offizielle Nutzen-Kosten-Analyse erstellt. Vorhandene Analysen gehen jedoch von einem Faktor 3 aus. Dieser Faktor wurde jedoch mehrfach widerlegt, u. a. hier:
http://www.verkehrswissenschaftler.de/p ... 090427.pdf
Demnach hätte das Projekt nur den Faktor 0,5, statt 286 Mill. € Überschuss werden also 198 Mio € Verlust p.a. generiert. Die Studie stammt dabei von 2009 und billiger ist es seither net geworden. Auch wenn ich persönlich 0,5 für zu gering halte, wird mehr als 1 nicht herauskommen (1 = 1€ eingesetzt bedeutet 1€ volkswirtschaftlicher Nutzen). Gemäß den üblichen Vorgaben dürfen Projekte, deren Faktor kleiner gleich 1 ist nicht umgesetzt werden. Vor allem dann nicht, wenn andere Projekte mit wesentlich höherem Faktor anstehen.
Für mich sind die Aspekte, die gegen S21 sprechen, von Kosten über Praxisbetrieb über Sicherheit (für Fahrbetrieb und Brandschutz etc) über Auswirkungen auf Natur und Boden über … bis hin zur Reduzierung des bisherigen Fahrplanangebotes (u. a. Wegfall IC KA-S) absolute No-go’s. Die von den Befürwortern u. a. in dem tollen Heftchen „21 Punkte für S21“ aufgeführten Vorteile sind für mich und sicherlich einen Großteil der Baden-Württembergischen und gesamtdeutschen Bevölkerung absolut vernachlässigbar bzw. sind dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass man net mal mehr drüber lachen kann (nur zwei der als Vorteil aufgeführten Punkte: Der Quellgips im Boden wird sich nicht auf die Tunnels auswirken und das Mineralwasser ist nicht gefährdet. Beides sind Punkte, die man nicht als Vorteil des Projektes anführen darf, da ohne S21 sich die Frage gar net stellen würde).
Fazit: Ja, ich sehe in die Zukunft. Und die ist in Bezug auf S21 nicht rosig. Dazu stehe ich jetzt und in Zukunft. Und wenn sowohl Termin als auch Kosten eingehalten worden sein sollten und nach Bauende und den ersten 3 Betriebsjahren dann wider erwarten doch alles problemlos läuft, keine Kapazitätsengpässe entstehen und auch die Instandhaltungskosten nicht aus dem Ufer laufen, lasse ich mich eines Besseren belehren. Sollte es die Tauberplanscher und das Festival dann auch noch geben und ich noch in der Lage sein, dort hinzugehen, mach ich auch gerne für die ganzen Befürworter hier ein Fass auf. Aber ich denke das Problem wird sich spätestens in 6-12 Monaten erledigt haben, wenn die Bahn urplötzlich feststellt, dass die Kosten überschritten werden.
Damit ist die Diskussion hier dann wohl beendet, da ja jetzt so oder so gebaut wird.